INDUSTRIE 4.0 AUCH OHNE IT?

Fischer Systemmechanik, 1981 von Reinhold Fischer in einer Garage gegründet, gilt heute deutschlandweit als Vorzeigebetrieb für die konsequente Weiterentwicklung der smarten Produktion nach dem Toyota Produktionssystem. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Anfertigung von hochpräzisen Serienteilen und Baugruppen aus Edelstahl und Aluminium. Diese werden schlank, mit einfachen Maschinen, ohne Automation und überaus „smart“ gefertigt. Und was angesichts der aktuellen Industrie 4.0 Debatte interessant ist: Mit einem Minimalaufwand von IT Infrastruktur.

1997 lernte Reinhold Fischer das aus Japan stammende System von Hitoshi Takeda kennen. Noch in der Nacht stellte er seine Maschinen zu einer Linie um und verfeinert das Prinzip bis heute mit deutscher Gründlichkeit. Seit 18 Jahren gibt es in Durchhausen diese „sich selbst steuernde Fabrik“, in der alles Kanban-gesteuert ist „bis zum Toilettenpapier“, so Reinhold Fischer.

Verschwendung vermeiden – heute aktueller denn je

Bei ihrem Rundgang durchs Unternehmen erlebten die Netzwerkteilnehmer was es bedeutet, Verschwendung konsequent zu vermeiden. In Durchhausen fertigen 80 Mitarbeiter, darunter 12 Auszubildende auf 6.000 Quadratmeter und 174 CNC-Maschinen rund 1.000 verschiedene Artikel im Einschichtbetrieb. Die Stückzahlen liegen zwischen 200 und 1 Million im Jahr, was bedeutet, dass von einzelnen Artikeln eine tägliche Losgröße von eins gefertigt wird. 70% der gefertigten Ware wird Tag für Tag pünktlich auf die Minute beim Kunden angeliefert. Möglich ist das, weil die Kunden von Fischer in maximal einer Stunde erreichbar sind. Und was in Zeiten von Kostendruck und Preiswettbewerb besonders bemerkenswert ist: Fischer ist im Wettbewerb zu anderen Zerspanern genauso erfolgreich. Dabei hat der reine Zerspanungsbetrieb nicht einmal eine eigene Entwicklung. Doch die Kunden aus Luftfahrt, Maschinenbau, Fahrzeug- und Medizintechnik schätzen die Stärken des synchronen Produktionsunternehmens. Die liegen vor allem in der außergewöhnlichen Präzision und Zuverlässigkeit.

Möglich wird diese durch die Uhrwerk-gleiche Taktung des gesamten Betriebs. Bei Fischer wird „in Linie gefertigt“. Im Unterschied zur Fließbandarbeit, bei der ein Mitarbeiter den ganzen Tag einen einzigen Handgriff ausführt, fertigt bei Fischer jeder einzelne Mitarbeiter ein Werkstück komplett selbst. Stündlich und auf die Minute kommt der firmeninterne „Versorgungszug“ an der Fertigungslinie an und liefert den Nachschub direkt an die Maschine. Bei einer Linienfertigung sind Maschinen und Prüfstationen im Kreis aufgestellt, die Fertigung läuft links herum „weil die meisten Menschen Rechtshänder sind“, so Reinhold Fischer. 

Aber nicht nur das einzelne Teil, der „gesamte Betrieb läuft links herum. So stellen wir sicher, dass kein Teil überflüssige Wege macht oder im Zickzack durch den Betrieb läuft“, betont der Inhaber. Vom Wareneingang bis zum Warenausgang ist jeder Handgriff optimiert, auch das Umrüsten der Maschinen. Da bei der Kanban-Fertigung sowohl kleine wie hohe Losgrößen höchst wirtschaftlich gefertigt werden können, müssen auch die Maschinen schnell umrüstbar sein.

Schnell wie bei der Formel eins

Jakob Penz ist Produktionsleiter bei Fischer. Eine seiner Aufgaben besteht darin, die Mitarbeiter im Umrüsten zu trainieren. Jakob Penz: „Beim Umrüsten von Maschinen ist es wie beim Reifenwechseln. Wenn du es zweimal im Jahr machst, dauert es eine Stunde, bei der Formel eins braucht das Team nur wenige Sekunden, weil es das täglich trainiert.“ Wenn also bei Fischer der Auftrag an der Linie wechselt und die Maschinen umgerüstet werden müssen, legt hier jeder Mitarbeiter selbst Hand an, denn alles Umrüstmaterial ist an der Maschine vorhanden und mit einem Handgriff verfügbar. Bei dem gut trainierten Team liegen die Rüstzeiten unter zwei Minuten.

Markenzeichen der synchronen Produktion bei Fischer Systemmechanik ist neben dem schnellen Umrüsten und der hohen Flexibilität der Maschinen vor allem, dass durch den Verbrauch einer bestimmten Anzahl von Teilen automatisch eine Bestellung ausgelöst wird. Und zwar sowohl beim Kunden wie auch unternehmensintern. Ausgelöst wird die Bestellung über eine so genannte Kanban-Karte, auf der Artikel und Menge verzeichnet sind. Einkauf und Logistik, Wareneingangskontrollen oder Lagerhallen sucht man bei Fischer Systemmechanik vergeblich. Reinhold Fischer: „Materialbestände und Lager sind bei uns Schandflecken.“

Ist Industrie 4.0 der Königsweg zum Erfolg?

Ein Fertigungsunternehmen, das 1.000 verschiedene Artikel fertigt und alles ohne Bestände? Wie sehr diese sich selbst steuernde Produktion ohne Lager, ohne Controlling, ohne Planung und sogar ohne Vertrieb der traditionellen Auffassung eines Produktionsunternehmens widerspricht, zeigte die lebhafte und kontroverse Diskussion bei der Netzwerkveranstaltung, die nach der Werksführung entbrannte. Hier ging es vor allem um die Frage, ob für den hiesigen Mittelstand das Thema Industrie 4.0 der Königsweg zum Erfolg sei oder ob es nicht Unternehmen wie Fischer sind, die helfen, im deutschen Mittelstand Arbeitsplätze zu sichern. Das Thema Industrie 4.0, also „smarte“ Produktion ist zurzeit in aller Munde. Gemeint ist die flexible und echtzeitfähige Vernetzung von Maschinen, Dienstleistungen und Menschen zum Zweck, individuelle Waren „on-demand“ und immer kostengünstiger zu produzieren.

Die kritischen Stimmen zum 4.0-Hype werden zurzeit immer lauter. So bezweifelt Eduard Altmann, Chefredakteur der Zeitschrift „Produktion“ in seinem Fachblatt  vehement den Nutzen dieser angekündigten nächsten Industriellen Revolution. Für ihn sind die wahren Profiteure und damit die Treiber von Industrie 4.0 „die Anbieter von Fabrikautomation wie Sensoren, Robotik, Steuerungstechnik und Verkabelung, knapp gefolgt von Softwarehäusern. Beide wittern ein großes Geschäft. Mit etwas Abstand folgen die großen Unternehmensberatungen.“ Die Anwender, mithin der Mittelstand, so Altmann, stünden dem Thema äußerst skeptisch gegenüber. Immer mehr fühlten sich gedrängt, hinter vorgehaltener Hand sei bereits die Rede von Industrie 4.0 Drückerkolonnen, „die zunächst unter dem Stichwort Kostenreduktion auf Gier setzen und, wo das nicht hilft, auf Angst nach dem Motto: Wenn ihr es nicht macht, dann die Konkurrenz.“

Produktivitätssteigerungen von 20 Prozent mit Synchronem Produktionssystem leicht möglich

Doch ist angesichts der Erfolge von Unternehmen wie Fischer Systemmechanik, die Frage ohnehin berechtigt, ob Industrie 4.0 in schlanken Prozessen überhaupt weitere Vorteile bringen kann. Oder ob nicht die Risiken wie etwa der hohe Investitionsbedarf, mangelnde Standards, ein unklarer wirtschaftlicher Nutzen und natürlich die Gefahr eines flächendeckenden Abbaus von Arbeitsplätzen die in Aussicht gestellten Aussichten von Produktivitäts- und Profitabilitätssteigerungen von 20 Prozent zunichte machen. Inhaber Reinhold Fischer und Geschäftsführer Steffen Lebherz bleiben bei diesen kolportierten Produktivitätssteigerungen ohnehin gelassen. Aus langjährigen Erfahrung wissen sie: Solche Steigerungen sind spielend mit einem synchronen Produktionssystem zu machen. Und zwar ganz ohne Investitionsrisiko. „Aus meiner Sicht sind die Möglichkeiten von Lean-Production gerade einmal ansatzweise genutzt“, meint der Inhaber.

Ein Fazit des Abends zog der Vorstandsvorsitzende des Innovationsnetzwerks, Armin Frank: „Industrie 4.0 wird die Region noch lange beschäftigen.“ Deshalb plant das Netzwerk bereits für Juni 2016 eine prominent besetzte  Veranstaltung in der Villinger Tonhalle, wobei sich die Diskussion um das Thema Arbeitsplätze drehen wird.





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